Haben Sie schon einmal Domino gespielt?
Ich meine nicht das taktische Legespiel, bei welchem die Spieler und Spielerinnen abwechselnd einen Stein an einen angrenzenden Stein mit identischer Augenzahl legen. Sondern jene Variante, in welcher die Steine an ihrer Schmalseite aufgestellt werden, durch einen leichten Anstoss umgeworfen werden und dabei die jeweils benachbarten Steine in Bewegung versetzen.

Das Bild kommt bei mir auf, wenn ich die zurückliegenden Monate im Ilgenpark Revue passieren lasse. Nach dem Weggang der beiden Bereichsleiter Wohnen und Tagesstruktur und einer kurzzeitigen Interimsführung übernahm ich im Juli 2022 die Leitung des Ilgenparks.

Als Aussenstehende war spürbar, dass «der Ilgenpark» fachlich gut aufgestellt ist, um neue Wege zu beschreiten. Gleichzeitig schien das Führungsvakuum die Mitarbeitenden in einen Ruhemodus zu versetzen, welcher sie daran hinderte, mit all ihrer positiven Energie, ihrem fachlichen Wissen und Können neue Wegmarken zu setzen.

Zusammen mit der Leiterin Pflege setzten wir das erste Ziel, die sechs Wohn- und drei Tagesstrukturgruppen personell gut auszustatten. Gemeinsam mit den Teamleitenden machten wir uns auf den Weg, Strukturen und Austauschgefässe zu definieren und zu etablieren, in denen zukunftsgerichtete Ideen und Konzepte entwickelt werden und reifen können.

Einen ersten Meilenstein auf unserem gemeinsamen Weg bildete die Wiedereröffnung der Tagestrukturangebote nach zwei langen Jahren pandemiebedingter Pause. Mit «Sinneswelten», «Kreativ» und «Aktiv» werden den Bewohnerinnen und Bewohnern durch den Tag hindurch Aktivitäten angeboten, die ihren subjektiven Wünschen und Fähigkeiten entsprechen.

Für einen besseren Austausch und eine konsistente Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden aus Wohnen und Tagesstruktur findet einmal pro Woche eine sogenannte «agogische Sitzung» statt. Das gemeinsame Gespräch und die regelmässige Frequenz unterstützen die Fachpersonen darin, den Fokus auf die besonderen Bedürfnisse eines jeden Klienten und einer jeden Klientin nicht aus den Augen zu verlieren. Der kollegiale Austausch hat sich dahingehend bewährt, dass «kritische» Ereignisse wie krankheitsbedingte Abwesenheiten und wiederholt aufflammende Covid-Ausbrüche ohne grössere Betreuungslücken aufgefangen werden können. Auch erweisen sich die agogischen Sitzungen als unterstützendes Gefäss, um voneinander für einen besseren Umgang mit herausforderndem Verhalten zu lernen.

Das Wohlergehen unserer Klientel steht im Alltag immer im Vordergrund. Gleichwohl wäre es leichtfertig, die gesundheitlichen, familiären und persönlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden unbeachtet zu lassen. Gerade unsere Branche trägt schwer am akuten Fachkräftemangel. Das Führungsgremium des Ilgenparks hat es sich daher zum Ende des Jahres zur Aufgabe gemacht, die Arbeitszeiten trotz aller Vorgaben und Notwendigkeiten eines 365 Tage und 24 Stunden offenen Betriebs so attraktiv und von Team zu Team so flexibel wie möglich zu gestalten. Auch sind wir stolz, als ausbildende Institution dem Fachkräftemangel ein Stück weit entgegenzuwirken. Im zurückliegenden Jahr konnten wir einem Sozialpädagogen und einem Fachmann Betriebsunterhalt zur bestandenen Prüfung gratulieren, aktuell befinden sich eine weitere Sozialpädagogin und eine Fachfrau Gesundheit in Ausbildung.

Besonders letztgenannte Kompetenzen im Bereich Pflege und Gesundheit gewinnen für uns zunehmend an Bedeutung, da unsere Klientel älter und pflegebedürftiger wird. Der kantonale Entscheid, den Ilgenpark auf die Pflegeheimliste zu setzen, hatte zunächst formalen und finanzadministrativen Charakter. Gleichwohl fordert er uns auf, unseren professionellen Auftrag zwischen agogischer Begleitung und pflegender Betreuung immer wieder neu zu reflektieren.

Nach gut einem halben Jahr im Ilgenpark weiss ich: Es gibt viel zu tun und jeden Tag warten neue Aufgaben auf uns. Sie werden sich nach der kurzen Lektüre vermutlich fragen, in welchem Zusammenhang diese Erkenntnis zu dem eingangs skizzierten Bild steht.

Es sind die hochmotivierten und engagierten Kolleginnen und Kollegen, welche das Bild eines Domino-Effekts in mir nähren. Jede Herausforderung, die es zu lösen gilt, jede Frage, für die im Alltagshandeln passende Antworten gefunden werden müssen, jede Idee, die neu lanciert und erprobt werden will, löst bei allen Mitarbeitenden ein hohes Mass an verantwortungsvollem Handeln und eine ehrliche Bereitschaft aus, mit anzupacken. Dabei muss sich niemand allein und auf sich gestellt fühlen. Aufgaben werden in Teams gelöst und das gemeinsame Handeln scheint alle zur Mitwirkung zu aktivieren – genau wie ein Domino-Stein, der im Fallen seine dynamische Energie auf den jeweils nächsten überträgt.

Versierte Domino-Spieler und Spielerinnen unter Ihnen wissen, dass das Geschick (und viel Geduld) im Aufstellen der Steine besteht. Dass im Aufrichten der Steine immer wieder Lücken gelassen werden müssen, um ein Gesamtwerk nicht durch zu schnelles Agieren zum unkontrollierten Fallen zu bringen. Und dass ein bewusst platzierter Abstand bedeutet, innezuhalten, um sich im Zweifelsfall immer wieder neu aufzustellen.

Autorin: Annette Kahlen